Eigentlich wollte ich diesen Bericht über die 2020 Radturnfahrt der Männerriege Elgg mit «eine nostalgische Fahrt» betiteln, aber die Tagesereignisse wollten es anders.
Dass der letzte am Bahnhof den Bericht schreiben darf, hatte ich vergessen, aber das Schicksal hatte, wie sich herausstellte, schon richtig gehandelt. Wie hätte ich sonst darüber berichten können, dass diese Reise mich in meine Vergangenheit entführen würde. Zum Glück durfte ich an der Seite des Reise-Photographen Rookie’s Christian Stahel arbeiten – wie hätte im mich sonst an alle Reise-Details erinnern sollen?
Herbert überraschte uns mit Kaffee und Gipfeli im Zug.
Die Information, dass wir drei Stunden nach Osten fahren würden, liess weitere Überraschungen erahnen. Das erste Indiz betr. Reiseziel war die Reservations-Anzeige der SBB in Wil: Männerriege Elgg (Sager) Landquart an 08:36.
Also konnte das Endziel nur irgendwo im Prättigau sein.
Acht Jahre meiner Jugend hatte ich im Prättigau verbracht (im Internierungs-Lager) oder besser Internat in Schiers.
Als die RhB dort vorbei rumpelte konnte ich mitteilen, dass sich weit hinten im Schraubach Tobel ein einzigartiges und sehenswertes Kulturerbe in der Form eines World Monument versteckt: die 1929 vom Ingenieur Maillart erbaute Salginatobelbrücke
Eine der ersten Spannbetonbrücken der Welt, welche in Scheitelpunkt nur eine Dicke von 20cm aufweist und selbst nach fast einem Jahrhundert noch Postautos in einer Höhe von 90m über den Schaubach führt.
Also doch Endstation im Prättigau: Klosters-Platz, wo uns Chläus schon mit den Fahrrädern erwartete. Bezeichnenderweise haben wir unsern ersten Beizen-Stopp gerade dort in der Klatsch-Bar gemacht. Hier begegnete ich der seltsamsten Toiletten-Beschriftung: bla-bla für die eine und bla-bla-bla-bla-bla-bla für die andere Tür. Interessanterweise hat sich keiner von uns in der Tür geirrt.
Und dann gings los nach unten.
Kaum abgefahren wurden wir in Klosters Dorf an den Wegrand gewunken, wo uns Hans Schmucki mit Schnaps und Basler Läckerli überraschte.
Vor 70 Jahren war ich von Klosters Dorf über das heute noch grosse offene Feld zu Fuss in die Kirche nach Klosters Platz gewandert zu meiner eigenen kirchlichen Taufe. Auf dieser Wiese zeigten mir damals meine Eltern den wilden Kümmel, der heute noch dort wächst.
Weiter gings unter der neuen, wie ein Beton-Blumenstrauss anmutenden Brücke von Klosters-Dorf vorbei.
Aber dann, in nur 90 Minuten schafften wir einen Höhenunterschied von 575 m bis hinunter nach Jenins. Durch Schiers sind wir in nur 8 Minuten gesaust, wo ich von 1954 bis 1962 acht lange Jahre gelitten hatte. Vorbei an vielen Burgruinen, wo ich in einer meine Pfadfinder Taufe mit Zahnpasta und Brillcreme erlebt hatte.
Das feine Bündner Mittagessen in der Bündte Jenins hat aber meinen alten Frust weggeblasen.
Dani hatte jedenfalls das Menu von oben im Griff.
Dann wurde die Strecke flach, aber der Schwung aus dem Prättigau trieb uns am Luxus Wellness Hotel und Golfplatz in Bad Ragaz vorbei, bis an die Schifflände von Walenstadt. Hier erinnerte ich mich daran, dass ich mit etwa 15 Jahren (also vor 62 Jahren) vom Zeltplatz aus bis zur kleinen vorgelagerten Insel im Walensee geschwommen war und beinahe erfroren wäre.
Dann gings dem Walensee entlang, an Unterterzen vorbei, wo sich einige Radturnfahrer nostalgisch an eine frühere Reise erinnerten.
Nach 85 km ohne technische Unbill, war die Tages-Endstation erreicht im Hotel Flyhof in Weesen.
Und dann das Drama – bzw. hier fing das kabelhafte Dilemma an. Hansjörg Kipp-te fast aus den Schuhen als er merkte, dass sein Ladekabel sich davon gemacht hatte.
Also wurden mehrere Strategien entwickelt, denn das E-Bike nach Elgg stossen stand nicht zur Diskussion. Es gewann die Variante der Kabel-Übergabe an einer Türklinke in Bauma. Mit Chläus holten sie das Kabel und zurück in Weesen stellte sich heraus, dass 18 gleichartige Kabel im Hotel verfügbar waren. In jedem der 18 Hotelzimmer lagerte ein Fernsehkabel mit Apparatestecker.
Ein feines Nachtessen mit lokalem Hauswein liess alle Strapazen des Tages vergessen.
Der zweite Tag war die Strafe für das hochmütige Abwärts-Gleiten des Vortages. Nach 17 km entlang des Lindt Kanals und in der Ebene ging es in Kaltbrunn abrupt in die Höhe. Dass es auch weniger steile Wege zum höchsten Tages-Punkt von 934m gibt, hat Dani wohl verdrängt. Selbst die E-Biker hatten zu krampfen. Gommiswald, Ernetschwil, Betzikon, Goldingen, Oberholz, Hindergade, Hüebli, Raad, waren so einige der verschwitzten Wegpunkte auf diesem Kreuzweg vor der Erlösung durch den Mittagshalt in Gibswil.
Von da ging es aber erfrischend rassig das Tösstal hinunter.
Und hier ist noch der schwierigste technische Ausruf auf dieser Reise zu erwähnen: «d’Chettle nid aalange» dies galt bis der Ketten-Doktor Kipp die Havarie behob, ohne die Finger schmutzig zu machen. Am Bichelsee erreichte uns die erfrischende Einladung Herberts nach Guntershausen, wo wir sein noch nicht so lange bezogenes Haus (besonders die Küche) und sein Bier Lager erkunden durften.
Das Wetter hielt sich an alle Vorgaben: kein Regen und nie zu viel Sonne.
Schlusspunkt war im Obertor, den ich aber leider verpasste, da noch eine Geburtstagsfeier und der Vatertag wartete. Aber an dieser Stelle erneut an Dani Sager ein herzliches Dankeschön für eine für mich unvergessliche nostalgische Radturnfahrt. Und ich denke ich kann auch im Namen aller nur wiederholen: « Tanke Dani, das häsch so guet gmacht, dass Du das jederziit widerhole törfsch».
Text: Erwin Lutz / Bild: Christian Stahel